„Prinzessin Serafina ist krank! Prinzessin Serafina ist krank!“ Schallte es durch die Stadt.
Ritter Balduin, der gerade nichts Besseres zu tun hatte, als sein Kettenhemd zu polieren, horchte auf. Prinzessin Serafina Krank? Seine Prinzessin krank? Ausgerechnet Sie, die dritte Tochter von König Nepumuck und Königin Elisa. Dieser hübsche Wirbelwind, der immer fröhlich und zu jedem nett war, sollte krank sein?
Hoffentlich war es nichts Schlimmes. Beunruhigt legte Balduin seine Rüstung bei Seite und eilte auf die Straße. Um den Rufer hatte sich schon eine Schar von neugierigen Leuten versammelt. Die Königsfamilie war bei dem einfachen Volk sehr beliebt, da sie gerecht und gütig herrschte.
„Was ist los mit der Prinztessin?“ rief Ritter Balduin und zwängte sich durch die Menschenmenge, bis zu dem Rufer durch. „Etwas Schlimmes ist passiert!“ Rief der Bote des Königs. „Die Prinzessin hat eine schwere Vergiftung. Wahrscheinlich hat sie von den giftigen Dornbeeren gegessen.
Die Zofe hat sie im Garten gefunden. Sie lag wie tot da. Ganz blass und mit Schaum vor dem Mund. Die Heilerin hat schon alles versucht, sie konnte aber nur bewirken, dass das Gift sich nicht so schnell im Körper ausbreitet.“
„Gibt es denn keine Hoffnung mehr für die Prinzessin?“ Ruft eine Frau aus der Menge.
„Die Heilerin sagt, ihr könnte nur noch frisches Drachenblut helfen.“
Ein Raunen ging durch die Menge: “Drachenblut!“
Es gab doch gar keine Drachen, oder vielleicht doch? Sollten die alten Geschichten von den grausamen, blutrünstigen Unwesen vielleicht doch war sein?
Balduin konnte sich noch gut an die Geschichten erinnern, in denen riesige Drachen vorkamen. Sie hatten ihm immer mächtig Angst eingejagt.
Wenn die Heilerin aber der Meinung war, dass es Drachen gibt und das Drachenblut die einzige Möglichkeit ist, Die Prinzessin zu retten, dann musste er einfach daran glauben!
Eilig ging er zurück in seine Hütte und begann alles zusammen zu packen, was er für eine längere Reise brauchen könnte. Doch halt, wo sollte er denn nach einem Drachen suchen? Und was war zu tun, wenn er ihn fand?
Verzweifelt lief er von einer Ecke seines Zimmers in die andre. Wie sollte er bloß vorgehen?
„Die alte Nehle“, rief er aus. Na klar! Keiner wusste mehr über Drachen zu berichten, als sie.
Schaudernd erinnerte er sich an die Abende, in denen er und die anderen Dorfkinder bei der Geschichtenerzählerin saßen und ihren Geschichten lauschten. Wenn die Erzählungen ihm zu schrecklich wurden, suchte er einen Vorwand, um sich die Geschichte nicht weiter anhören zu müssen. Dafür wurde er regelmäßig von den anderen Kindern ausgelacht. Irgendwann wurde die Hänselei so schlimm, dass er sich schwor, wenn er groß war, ein Ritter zu werden, vor dem alle Angst hätten.
Ein Ritter war er dann ja auch geworden. Aber Angst hatte keiner vor ihm. Dafür war er viel zu nett!
Auf dem Weg zu der alten Geschichtenerzählerin kamen die ganzen alten Gefühle wieder hoch und er wäre fast umgekehrt. Aber dann stellte er sich vor, wie Prinzessin Serafina sterbenskrank in ihrem Bett lag und nur er war in der Lage, sie zu retten.
Also atmete er noch einmal tief durch und ging die Letzten Meter zu Nehles alten windschiefen Häuschen, welches am Rande der Stadt lag.
Ihre Tür stand offen wie immer. Sie behauptete, dass ihre unsichtbaren Freunde aufpassen würden, dass niemand unbefugtes ihre Hütte betrat. Tatsächlich glaubte Balduin aber, das sich nur kein Dieb in ihr Haus verlief, weil es dort, außer ein paar wertloser Steine und anderem nutzlosem Krimskrams eh nichts zu holen gab.
Die alte Nehle saß vor ihrer Hütte in der Sonne und hielt einen kleinen Stein in der Hand.
Ohne die Kopf zu heben, sprach sie den Ritter an. „Ah, da kommt ja der kleine Balduin. Du warst lange schon nicht mehr bei mir. Ach ja, meine Geschichten haben dich immer zu sehr geängstigt. Schade, dass du regelmäßig das Ende verpasst hast. Das war immer das Beste an den Geschichten.“
„Ich bin nicht mehr der kleine Balduin.“ erwiderte er beleidigt. „Ich bin jetzt ein Ritter! Außerdem habe ich mich nie vor deinen Geschichten gefürchtet. Sie haben mich nur immer so gelangweilt. Deshalb bin ich nie bis zum Schluss geblieben.“
Die alte Nehle schien ihn gar nicht mehr wahr zu nehmen. So vertieft war sie in die Betrachtung ihres Steines.
Balduin trat von einem Fuß auf den anderen. Am liebsten wäre er wieder gegangen. Nach einiger Zeit, die dem Ritter unendlich lang vorkam, blickte die Alte zu ihm auf und betrachtete ihn aufmerksam. „Es hat doch bestimmt einen Grund, warum du zu mir gekommen bist. Möchtest du ihn mir nicht verraten?“
„Ich würde von dir gerne erfahren, was du über die Drachen weißt. Wo sie leben, was für Angewohnheiten sie haben. Was für Schwachstellen sie haben? Wie kann man sich ihnen nähern, ohne entdeckt zu werden? Wie kann man sie besiegen? Und so weiter“
„Ach ja, die Drachen.“ Seufzte die Alte Nehle und begann zu erzählen: „Es ist viele Generationen her, dass es hier in der Gegend Drachen gab. Du musst wissen, dass sie Einzelgänger sind und sich nur einmal im Leben Paaren. Drachinnen legen meist nicht mehr als zwei Eier. Und es kann Jahre dauern, bis ein Junges schlüpft. Was die Jungen veranlasst, zu schlüpfen weiß niemand. Die Drachennester liegen verborgen und geschützt in den Bergen. Geschützt vor den Menschen und anderen Tieren, die den Eiern gefährlich werden könnten.
Die Jungen sind nicht auf ihre Eltern angewiesen, wenn sie schlüpfen. Es gibt berichte, von Drachenjungen, die lange nach dem Tod ihrer Mutter geschlüpft sind und ganz alleine aufgewachsen sind.
Drachen lieben die Sonne, fürchten aber auch keine Schneestürme und andere Unwetter.
Bei den schlimmsten Orkanen hat man Drachen durch die Luft fliegen sehen und es schien ihnen sogar spaß zu machen.
Ihre Schuppen strahlen in der Sonne, als würde das Licht von innen kommen.
Mansche lebten im Wasser, andere in den Bergen oder im Wald.
Die Wald und Wasserdrachen sind schon lange verschwunden. Vielleicht leben irgendwo in unbewohnten Gegenden noch welche, aber ich fürchte, wir Menschen haben sie alle ausgerottet.
Die Drachen aus den Bergen, konnten sich länger behaupten, doch auch sie sind schon lange nicht mehr in dieser Gegend gesehen worden.
Wir Menschen haben sie verdrängt.
Du musst wissen, dass im Laufe der Jahrhunderte die Menschen immer größere Gebiete besiedelten. Die Städte wuchsen und um sie herum bewirtschafteten die Bauern das Land. Zum Schluss dehnten sich ihre Felder und Weideland so weiter aus, dass sie bis an dem Fuß der Berge reichte.
Für die Drachen, die die Ruhe und Abgeschiedenheit liebten, war kein Platz mehr. Sie zogen sich daraufhin immer weiter in die Berge zurück und wurden nur noch selten gesehen.
Aber dann, keiner weiß warum griffen die Drachen die Bauern an. Sie zerstörten ihrer Felder, verbrannten ihre Häuser und fraßen ihre Rinder. Die Bauern flohen in die Städte und Ritter zogen aus, die Drachen zu jagen. Es gab einen langen grausamen Kampf, bei dem viele Ritter und auch Drachen starben.
Auch die Städte blieben nicht verschont. Die Riesenechsen stoben über die Häuser hinweg und brannten alles nieder.
Einige Dörfer, die in der nähe der Berge lagen wurden nie wieder aufgebaut. Dort sind jetzt unbewohnte Landschaften entstanden.
Es war eine schlimme Zeit damals. Aber genau so plötzlich wie sie begonnen hatte, hörte sie auch wieder auf. Die Drachen zogen sich zurück und sie wurden nie wieder gesehen.
In dieser Zeit der Zerstörung gab es einen Einsiedler, der ganz alleine in den Bergen wohnte und angeblich mit den Drachen sprechen konnte. Er kam kurz nachdem die Angriffe auf die Bauern erfolgten in die Stadt und berichtete, die Drachen seien Wütend, da ein Bauer ein Drachennest gefunden und geplündert hatte.
Die Menschen glaubten ihm aber nicht, da er als verrückt galt. Er wurde als Drachenfreund und Verräter verhöhnt. Einige Bürger wollten ihn sogar aufhängen und den Drachen zum Fraß vorwerfen. Doch zum Glück konnte er sich in eine Hütte am Rande der Statt flüchten und verstecken. Dort blieb er einige Tage, bis nach ihm nicht mehr gesucht wurde. Dann, eines Nachts verließ er die Stadt.
Doch bevor er ging gab er der Bewohnerin der Hütte, einer jungen Heilerin, einen Stein und sprach: „Ich habe nichts, was ich dir als Zeichen meiner Dankbarkeit geben kann, aber verwahre diesen Stein auf. Hüte ihn wie einen Schatz. Er ist es wert. Eines Tages in ferner Zukunft wird jemand an eure Tür klopfen und um Hilfe bitten. Er hat einen großen, wichtigen Auftrag zu erfüllen, für den er diesen Stein braucht.
Dieser Stein sah auf den ersten Blick ganz gewöhnlich aus, doch bei näherem Betrachten konnte man eine feine Maserung erkennen, die einem Drachen glich.
Der Einsiedler behauptete, dieser Stein habe magische Kräfte und er würde sich bei der richtigen Person bemerkbar machen.
Die junge Heilerin versprach es und wünschte dem Einsiedler viel Glück.
Viele Generationen vergingen und es kam niemand, für den der Stein bestimmt war. Die ganze Geschichte geriet langsam in Vergessenheit. Nur noch selten, wenn draußen ein Unwetter tobte wurde die von der düsteren Zeit, dem Einsiedler und dem Drachenstein erzählt.
Den Stein gibt es immer noch. Er wurde von Generation zu Generation weitergegeben. Von der Mutter zur Tochter. Gehütet wie ein Schatz, bis derjenige kommt, für den er bestimmt ist.“
Mit zunehmender Faszination hatte Balduin zugehört und gar nicht bemerkt, dass es schon dämmerte.
„Danke Nehle, du hast mir sehr geholfen.“ Balduin erhob sich langsam reckte und streckte seine Glieder, die vom langen Sitzen ganz steif waren und wollte sich von der Geschichtenerzählerin verabschieden, aber sie forderte ihn auf, noch einen Moment zu bleiben.
Langsam erhob die Alte sich und schlurfte in ihre Hütte. Es dauerte einige Zeit, bis sie wieder raus kam und Balduin wurde langsam ungeduldig. Doch dann hörte er wieder ihre schlurfenden Schritte und sie Erschien im Türrahmen. In ihrer Hand hielt sie eine alte vergilbte Karte und immer noch den Stein, mit dem sie die ganze Zeit gespielt hatte.
„Nimm diesen Stein und diese Karte. Sie werden dir bei deiner Reise hilfreich sein.
Außerdem habe ich noch einen guten Rat für dich: Lass dich von deinem Herzen führen und nicht von deinem Verstand!“
In seiner Hütte angekommen legte Balduin den Stein achtlos auf Seite. Wie sollte ihm so ein oller Stein schon helfen? Die Karte jedoch breitete er auf seinem Tisch aus, machte sich sein Öllicht an und beugte sich über die Karte.
Es waren Berge eingezeichnet und ein See. Außerdem noch jede Menge Wald. Auch einige Ortschaften waren zu sehen. In der Nähe der Berge gab es aber nur ein Dorf. Der Name, den Balduin nur sehr schwer entziffern konnte war: „Feenhain“.
Damals war es nicht üblich, dass Ritter lesen und schreiben lernten. Doch seine Schwester hatte den Schreiberling des Königs geheiratet und da Balduin vor seinen Nichten und Neffen nicht als ungebildet gelten wollte hatte er sich von seinem Schwager das Lesen und schreiben beibringen lassen. Feenhain? Der Name kam Balduin bekannt vor. Wo hatte er ihn nur schon mal gehört? Ach ja! Er tauchte in einigen Geschichten auf, die Nehle ihm erzählt hatte. Angeblich sollte es dort Elfen und Feen geben.
Solange Balduin bei Nehle gesessen hatte, um ihren Erzählungen zu lauschen, hatte Balduin fest an das geglaubt, was er dort zu hören bekam. Aber hier in seiner Hütte kam er sich doch etwas albern vor. Drachen, Elfen, Feen… das waren doch alles nur Märchen! Oder etwa nicht?
So hin und her gerissen blieb er noch einige Zeit vor der Karte sitzen und konnte sich nicht entscheiden. Schließlich war er so müde, das ihm fasst die Augen zu vielen und er legte sich mit dem festen Vorsatz schlafen, das das Ganze eine blöde Idee war und er hier bleiben würde.
In der Nacht träumte Balduin von Elfen, Feen und Drachen, die friedlich in den Wäldern und im Gebirge lebten. In seinem Traum konnte er mit allen Wesen reden und er war glücklich in ihrer Mitte.
Außerdem träumte er von seiner Prinzessin. Ihr Gesicht war so bleich wie der Mond und sie sprach ganz leise zu ihm: „Bitte hilf mir Balduin! Nur du kannst mich retten!“
Als Ritter Balduin am Morgen erwachte, war er ausgeschlafen und voller Tatendrang. Die Zweifel, die ihn geplagt hatten waren wie weggeblasen. Sollten die anderen doch denken, was sie wollten. Er würde einen Drachen finden und seine Prinzessin retten! Das einzige, was ihn daran störte war, das er einen Drachen töten musste, um die Prinzessin zu retten.
Nachdem was er gestern von der alten Nehle gehört hatte waren Drachen keine bösen Monster, wie er immer dachte, sondern wunderbare Wesen, die nur gewalttätig wurden, wenn man ihnen etwas antat.
Aber darüber wollte er jetzt nicht nachdenken. Das wichtigste war, dass er Prinzessin Serafina rettete…….
(Fortsetzung folgt)
Eure Yona ♥